Lyoner Luxus

Eines der letzten erhaltenen Modelle von Cottin & Desgouttes

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Ein Sans-Secousse der Lyoner Automobilbauer Cottin & Desgouttes zählt heute zu den absoluten Räritäten. Kenner schätzen, daß kein halbes Dutzend Fahrzeuge der einstmals renommierten französischen Firma erhalten geblieben sind.

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Cottin & Desgouttes war einst eine der großen französischen Luxusmarken. Leistungsstärke und diskrete Eleganz zeichneten die Wagen aus, und zwischen 1904 und 1933 verließen das Werk in Lyon auch erhebliche Stückzahlen. Aber - übriggeblieben ist fast nichts. Ein Cottin & Desgouttes ist heute nicht nur selten, sondern es gibt fast überhaupt keine erhaltenen Exemplare mehr. Unser Blickfang-Auto, ein "14 CV VA Sans-Secousse" aus dem Jahre 1931, steht heute in Holland.

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Äußerlich nicht sehr spektakulär, aber technisch ein Leckerbissen: der Sans-Secousse.

Vor fünfzehn Jahren erwarb der Holländer Van Acker das seltene Stück als jämmerliches Wrack vom Automobilmuseum in Leiden. Ihn reizte das Einzigartige der Marke. Seitdem hat Van Acker niemals von einem privaten Eigentümer eines Cottin & Desgouttes gehört. 1985 hat das Henri-Malartre-Museum in Lyon auf der Basis eines originalen Fahrgestells und Motorblocks einen "Grand Prix" aus dem Jahre 1924 rekonstruiert. Der Wagen ist im Museum zu besichtigen. Andere Spuren führen in die Welt des Films. Ein Wagen Baujahr 1921 soll in dem Film "Chitty, Chitty, Bang, Bang" (1969) eine Rolle gespielt haben. 1954 berichtete die Zeitschrift "The Autocar" über ein erhalten gebliebenes Modell "Grand Prix", allerdings mit nichtoriginalem Motor. Und 1959 soll auf einem Concours in Paris ein Baujahr 1911 gesichtet worden sein. In der Tat - die Marke scheint so gut wie ausgerottet.

Über 25.000 Kilometer binnen 15 Jahren hat der Holländer Von Acker mft dem vollständig restaurierten Cottin & Desgouttes zurückgelegt.

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Der Holländer hat seinen Fund vollständig selbst restauriert. Dafür waren schätzungsweise dreitausend Arbeitsstunden nötig. Sogar ein originales Kühleremblem fand er in einem Kramladen in Paris. Inzwischen hat Acker mit dem Wagen über 25000 Kilometer zurückgelegt.

Werfen wir einen Blick zurück in die Geschichte von Cottin & Desgouttes. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts war Lyon eines der Zentren der französischen Automobilindustrie. Rund 50 Automobilhersteller haben im Laufe der Jahre ihren Sitz in der Rhone-Stadt gehabt. Zunächst baute Pierre Desgouttes unter seinem Namen den Typ A. Den 1904 vorgestellten Wagen trieb ein 6-Zylinder-Reihenmotor mit 9,5 Liter Hubraum, der 45 PS leistete. Davon wurden allerdings nur zwei Exemplare hergestellt. Zwei Jahre später trat Cyrille Cottin in das Unternehmen ein.

Zunächst beschränkten sich Cottin & Desgouttes auf den Bau von Autos mit Vierzylindermotoren mit Hubräumen zwischen 3770 und 10.619 Kubikzentimetern. Die Leistungen reichten bis zu 70 PS. Von 1908 bis 1910 wurde zudem ein 3,6-Liter-Sechszylindermotor angeboten. Die Werbung lief vor allem über die Teilnahme an Wettbewerben. Von Anfang an gewannen Cottin & Desgouttes wichtige Rennen und Zuverlässigkeitsfahrten, darunter 1906 die "400 Kilometer von Ostende", wo sie auch noch den zweiten Platz belegten.

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Nach dem Krieg stand die Produktion bis 1921 still. In diesem Jahr wurde ein vom Typ DF abgeleiteter Typ K gebaut. Ein neuer Anfang wurde mit zwei Vierzylindermotoren mit vier und fünf Liter Hubraum gemacht. 1924 stellte Cottin, sein Partner

Desgouttes war inzwischen ausgestiegen, eine neue Serie von Modellen mit zwei verschiedenen Vierzylinder-Motoren vor: ein Stoßstangen.motor mit 2614 Kubikzentimeter Hubraum und die berühmte 3-Liter-Maschine mit drei Ventilen je Zylinder. Ein Wagen, der mit einem speziell für Rennen modifizierten Motor dieses Typs ausgerüstet war, gewann den "Grand Prix du Tourisme" und war der Grund ein Modell mit dem Namen "Grand Prix" anzubieten. Der "Grand Prix" wurde seinerzeit mit dem Bugatti 55 oder dem Amilcar G6 verglichen. Im Jahre 1926 erfand Cottin unter der Bezeichnung "Sans-Secousse" (stoßsicher) ein Federsystem mit Einzelradaufhängung. Unser Blickfang-Auto ist eines der letzten Modelle vom Typ "Sans-Secousse". Bei der Vorstellung des neuen Wagens auf dem Pariser Salon gratulierte der französische Staatspräsident dem Lyoner Automobilbauer zu seiner epochalen Erfindung, die der vaterländischen Automobilindustrie zur Ehre gereiche. Cottin soll trocken geantowortet, daß dazu auch der Staat beigetragen habe - mit den schlechten Straßen!

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Im Stil der Zeit: die 2,6-Liter-Vierzylindermaschine. Eine technische Novität war die komfortable Einzelradaufhängung der Sans-Secousse ("stoßsicher").

Mitte der zwanziger Jahre verließ ein Auto pro Tag die Lyoner Fabrik. Doch Anfang der dreißiger Jahre wurde auch dieses Unternehmen ein Opfer der Weltwirtschaftskrise. Der Verkauf lief nur noch schleppend. Ein "Sans-Secousse" kostete fast doppelt soviel wie beispielsweise ein Sechszylinder-Wagen von Citroen. 1933 wurden die letzten Fahrzeuge der Marke Cottin & Desgouttes verkauft. Die Zeit für luxuriöse Wagen dieser Art schien vorläufig vorüber.

Text: Ton Lohmann

Fotos: Rein van der Zee